Die Pandemie erzwingt heute, dass viele Menschen im Home Office arbeiten. Sie erleben nun, wie die Arbeit daheim von der Hand geht. Ich selbst kenne dieses Dasein schon seit vielleicht 20 Jahren. Es gefiel mir von Anfang an gut. Ich habe aber – das möge man bedenken – ein eigenes großzügiges Arbeitszimmer unter dem Dach, von wo aus ich heute auf Online-Konferenzen rede. Unsere erwachsenen Kinder sind jetzt selbst oft im Home Office.
Manager sorgen sich, dass sie ihre Mitarbeiter nicht mehr beim Arbeiten sehen können, was sie für Kontrolle halten. Bei Online-Meetings sieht man ihnen auch nicht mehr auf die Finger, dabei ist es im Home Office möglich, die Meeting-Zeit sinnvoll zu nutzen: eBay, Spielen, Einkaufen, Online-Banking, sich über Witze in WhatsApp gegenüber Kollegen abregen, wenn der Chef langatmig wird. Das alles erfahren Sie heute schon selbst. Ich will hier nur prognostizieren, was mittelfristig dabei herauskommt. Büroräume stehen oft leer, Massentierhaltungsgroßraumflächen sind spärlich besetzt. Manager überlegen, wie sie ihre Mitarbeiter steuern können. Sie klagen: „Ich kann sie nicht mehr sehen!“ Außerdem regt sie die friedliche Ruhe im halbleeren Großraum auf. Autos zeigen vor dem seltenen Start an: „Batterieladung schwach.“ Mitarbeiter (-Ehepaare) bekommen Stress in zu kleinen teuren Innenstadtwohnungen.
Beispiel: Ich habe im IBM Wissenschaftlichen Zentrum in Heidelberg gearbeitet. 20 qm Einzelbüro. Weil man sparen wollte und Home Office zuließ, wurde in dem elfstöckigen Gebäude in Mannheim immer mehr Fläche frei. Heidelberg wurde als Standort aufgegeben, ich musste 2003 auf solch eine laute Fläche. Damals mietete die IBM noch so etwa fünf Stockwerke, dann vier, dann drei… Als ich die IBM 2011 verließ, waren es noch etwa 1,5 Stockwerke, und 2019 wurden alle Mitarbeiter woandershin verlegt. Das IBM Labor in Böblingen mit einst einmal tausenden Mitarbeiter ist ebenfalls dicht. Diese ganze Transformation hat sich über knapp zwanzig Jahre hingezogen. Damit will ich sagen: Die Bürotürme werden sich leeren, nicht sofort heute, auch nicht gleich morgen. Es zieht sich endlos und freudlos hin. Ich habe schon Überschriften wie „Geisterstadt London“ gesehen. Die Vision sich leerender Wolkenkratzer ist richtig, aber es dauert! Wie sehen dann die Städte aus?
Wer nur ein oder zwei Mal pro Woche ins Büro muss, kann auch weiter draußen wohnen, die Fahrzeit bleibt die gleiche (mehr km pro Fahrt bei weniger Fahrten). Gibt es eine Flucht aus der Stadt?
Manager brauchen andere Kontroll-Instrumente, wenn es keine Zeiterfassung vor Ort gibt. Sie schalten um auf „Ziele“. Es wird nicht mehr traditionell gemessen, wie lange man arbeitete, sondern wie viele Vorgänge man schaffte. Das setzt die Mitarbeiter großem Stress aus, denn nun sieht jeder, wer wie viele Vorgänge oder wie viel Umsatz gemacht hat. Leistungsschwächere Mitarbeiter könnten es mit Überstunden versuchen, doch noch viel zu schaffen. Aber die Leistungsträger wollen befördert werden, sie gehen bei den Überstunden bis zur Selbstausbeutung, die etwa im Beratungsberuf fast normal ist. Manager können jetzt die Ziele „unmenschlich“ erhöhen, weil sie dem Mitarbeiter nicht in die Augen sehen müssen; er ist im Home Office. Wenn in einem Unternehmen viel von Balance, Well-Being oder Wellness die Rede ist, mildert und kaschiert es schon die Schmerzen der Ausbeutung.
Die Kosten für die Büroräume sinken, das Unternehmen sackt Nebengewinne ein.
Nehmen die Gewerkschaften das zeitig zur Kenntnis? Muss nun nicht der Unternehmer Teile der Miete übernehmen, sagen wir, ein halbes Zimmer bezahlen? Bei Beratungsunternehmen gibt es kein Danke. Werden wir nun, da Home Office weiter verbreitet ist, unsere Interessen wahren?
Da man nicht mehr so oft zur Arbeit fährt, halten die Autos länger. Das wird Auswirkungen auf die Industrie haben. Für die Arbeit im zukünftigen Auto Office wäre es gut, selbstfahrende Autos zur Verfügung zu haben. Familien könnten sich gemeinsam ein Auto kaufen. Unternehmen können ihren Mitarbeitern Mitfahrergelegenheiten per App organisieren. [Werbeblock: ich bin Investor bei RideBee, schauen Sie einmal, ob Sie nicht so etwas mögen und von Ihrer HR-Chefin fordern wollen. Sie können natürlich auch noch investieren. RideBee zeigt an, wer wohin mitwill, man nimmt ihn mit, die Umwegkilometer etc. werden von der App erfasst, ein Geldausgleich erfolgt z.B. über das Gehalt.]
Ich habe früher schon gefordert, am besten ICE-Linien und kleine Flughäfen auf „Halde“ zu bauen und auf Staatskosten über lange Zeit mit hohen Verlusten halb leer zu fahren oder anzufliegen. Dann bilden sich über die Jahre neue Städte aus… das braucht natürlich Geduld, die man in München zunehmend ganz verliert. Guter Wohnraum braucht gute Infrastrukturen, die wird man wohl zuerst bauen müssen. In China haben wir über Geisterstädte gelacht. Wir lachen eben immer…und schließen die Flughäfen gleich wieder, wenn die Gäste ausbleiben. Wir müssen aber Jahre warten, bis die Häuser kommen. Und die werden gewiss kommen, dank Home Office. Man braucht keine großen Industriewerke mehr vor Ort, um dort gute Arbeitsplätze zu haben.
Gunter Dueck (Jahrgang 1951) lebt als freier Schriftsteller, Philosoph, Business Angel und Speaker bei Heidelberg. Nach einer Karriere als Mathematikprofessor arbeitete er fast 25 Jahre bei der IBM, zuletzt bei seinem Wechsel in den Unruhestand als Chief Technology Officer. Er ist für humorvoll-satirisch-kritisch-unverblümte Reden und Bücher bekannt, zuletzt „Schwarmdumm“ und „Heute schon einen Prozess optimiert?“.