Was ist das Metaversum?
Es scheint, dass sich derzeit viele führenden Unternehmen verschiedener Branchen mit dem Metaversum beschäftigen: McKinsey untersucht, ob Unternehmen reale Werte im Metaverse schaffen können, Bosch eröffnet ein Metaverse Lab in Berlin und Facebook firmiert sich sogar in Meta um. Das vermeintlich neue Schlagwort „Metaverse“ erweist sich jedoch als ein bereits lange vergessener Begriff. Denn bereits 1992 wurde der Begriff von Neal Stephenson in seinem Science-Fiction-Roman "Snow Crash" geprägt. Das Buch stellt einen dreidimensionalen virtuellen Raum dar, der parallel zur realen Welt existiert und in dem Menschen als digitale Avatare und Software-Agenten miteinander und mit der Umwelt interagieren. Der Begriff wurde anschließend von Herstellern von Online-Videospielen aufgegriffen. Sie schufen eine Sammlung miteinander verbundener virtueller Welten, die es den Nutzern ermöglichten, innerhalb und zwischen diesen Welten zu reisen, mit anderen Spielern zu kommunizieren und das Metaversum mit nutzergenerierten Inhalten zu erweitern.Seitdem ist der Begriff weit über sein ursprüngliches Einsatzgebiet in Science-Fiction und Online-Spielen hinausgewachsen und setzt sich aktuell in unterschiedlichen Bereichen durch – interaktives Lernen, E-Commerce, Gesundheitswesen, Immobilien, Maschinenbau und Industrie. Aufbauend auf den Ideen von Virtual (VR), Augmented (AR) und Mixed Reality (MR) geht das Metaverse noch einen Schritt weiter und verspricht nicht nur die nahtlose Verbindung von digitalen und physischen Welten, sondern auch verschiedene digitale Plattformen zu verknüpfen und eine unbegrenzte Anzahl von Nutzern und Objekten zusammenzuführen. Oft als "das Metaverse" bezeichnet, soll es ein Nachfolger des "Internets" werden – ein neuer Raum für die virtuelle Existenz von Personen, Organisationen und Dingen . Etymologisch gesehen betont das griechische Wort μετά, das "nach" oder "jenseits" bedeutet, einen Übergang des Universums, wie das Ende des Begriffs andeutet, zu einem neuen, fortgeschrittenen Stadium.
Abbildung: Wearables wie die Magic Leap 2 und HoloLens 2 tragen zur Immersion bei und erweitern die visuelle Realität des Nutzers
Verborgene Schätze des Metaversums
Die Internetsuche zur Begriffsbestimmung ergibt Dutzende von Definitionen des Metaversums. Es ist schwer, eine umfassende Definition des Begriffs zu geben, da das Spektrum der Anwendungen vom digitalen Spielplatz für Freunde bis hin zu kommerziellen Räumen für Unternehmen und Kunden reicht. Wichtiger als die Suche nach einer einheitlichen Interpretation ist jedoch, die Funktionalitäten und Charakteristiken eines Metaversums zu verstehen, und die dahinter verborgenen neuen Möglichkeiten für die Industrie näher zu beleuchten.Das erste wichtige Merkmal des Metaversums ist die Immersion, die ein interaktives Erlebnis bietet, das sich über die digitale und die physische Welt erstreckt und beide Welten miteinander verbindet. Normalerweise müssen die Nutzer hochtechnologische Wearables wie Virtual oder Mixed Reality Brillen oder haptische Handschuhe verwenden, um ein hohes Maß an Interaktion und immersiver Erfahrung zu erreichen. Moderne Technologien machen es jedoch möglich, mit digitalen Zwillingen von Maschinen zu interagieren oder direkte Unterstützung bei der Benutzung komplexer Produkte wie Maschinen und Anlagen zu erhalten, indem man einfach ein Smartphone benutzt, ohne zunächst zusätzliche Hardware organisieren zu müssen. Durch die weite Verbreitung persönlicher Smartphones und Tablets ist die digitale Welt des Metaversums sowohl im privaten als auch im industriellen Umfeld leicht zugänglich geworden, ohne dass zusätzliche Investitionen in teure Wearables erforderlich sind.
Die Vernetzung von Personen, Objekten und Abläufen ist ein weiteres wesentliches Feature, das viele Anwendungen in industriellen Umgebungen besitzt. Der Schwerpunkt liegt nicht nur auf der Verbindung einer unbegrenzten Anzahl von Nutzern, die das Metaversum betreten und gleichzeitig interagieren können, sondern auch auf der Rolle und der Art der Nutzer. Die Rolle der Nutzer hängt von ihrer beruflichen Tätigkeit ab – man denke z. B. an Maschinenbediener, Hersteller, Lieferanten, Händler und andere Stakeholder. Die Art der Nutzer unterscheidet zwischen echten Menschen und künstlichen Akteuren, wie KI-generierten Avataren, die echte Arbeitnehmer beraten und unterstützen. Außerdem kann das Netzwerk der verbundenen Nutzer erweitert werden und die gesamte installierte Basis eines Maschinenbauers oder den Maschinenpark eines produzierenden Industrieunternehmens umfassen. Jede angeschlossene Anlage wird als digitaler Zwilling in einem System abgebildet und Nutzungsdaten aus dem Betrieb werden zur weiteren Analyse und Optimierung der Anlagenleistung erfasst.
Video: Ein kleiner Einblick in die oculavis Metaverse App
Das Metaversum zeichnet sich weiterhin durch dynamische Inhalte aus, da seine Nutzer die Möglichkeit haben, nicht nur mit bereits vorhandenen Inhalten zu interagieren, sondern auch neue zu erstellen und diese anderen zur Verfügung zu stellen. Die Möglichkeit, das digitale Umfeld in kollaborativer Zusammenarbeit direkt zu beeinflussen, wirkt sich nicht nur positiv auf die Qualität der Inhalte aus, sondern trägt auch dazu bei, dass die Nutzer ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln und aus Einzelpersonen ein funktionierendes Team wird.
Das Metaverse führt verschiedene Plattformen zusammen und gewährleistet die ständige Zugänglichkeit und Interoperabilität der verfügbaren Daten und Prozesse. Da heutzutage jedes Unternehmen verschiedene digitale Lösungen in seinen Abläufen verwendet, besteht die Herausforderung darin, diese in einer Umgebung zu vereinen. Die auf Anwendungsschnittstellen (API) basierende Integration von IT-Systemen und Geschäftsprozessen macht dies möglich. Es ermöglicht die gemeinsame Nutzung verfügbarer Daten durch verschiedene Anwendungen, die nahtlos in ein unternehmensindividuelles industrielles Metaversum eingebunden werden.
Diese entscheidenden Merkmale tragen dazu bei, das Phänomen des Industrial Metaverse zu verstehen. Das Industrial Metaverse ist ein hybrider kollaborativer Raum, der die reale Umgebung durch kontextualisierte virtuelle Daten und digitale Plattformen ergänzt und der allen an industriellen Prozessen Beteiligten für die digitale Zusammenarbeit und als eine Informationsquelle ständig zur Verfügung steht.
Neue Wege beschreiten
Auch wenn die Idee des Metaversums noch recht futuristisch anmutet, ist es bereits möglich, von den zugrundeliegenden Konzepten zu profitieren. Der erste Schritt, den jedes Industrieunternehmen in das Industrial Metaverse machen kann, ist – in einer produktorientierten Sichtweise – seine installierte Basis an Produkten – oder – in einer produktionsorientierten Sichtweise – seinen Maschinenpark mit digitalen Inhalten anzureichern. In beiden Fällen können Effizienz und Qualität von Service-, Wartungs- oder Qualitätsprozessen durch die Implementierung von Smart Service und Connected Worker Lösungen gesteigert werden. Diese Lösungen stellen auf Anfrage alle relevanten technischen Informationen zu einer Maschine z. B. über einen QR-Code oder andere Auto ID Technologien bereit. Sie machen das notwendige Wissen, von der Abnahme und Inbetriebnahme über die Schulung von Personal in Form von Schritt-für-Schritt-Anleitungen bis hin zu AR Video Support Anwendungen zur Remote Kollaboration, zur richtigen Zeit und am richtigen Ort verfügbar.Die Vernetzung im Industrial Metaverse ist bereits heute in Form von Smart Service Lösungen am Markt verfügbar. Solche Softwarelösungen bringen verschiedene Stakeholder einer installierten Basis von Maschinen und Anlagen wie Hersteller, Händler, Endkunde, Maschinenbediener oder Wartungstechniker in einer Plattform zusammen und bieten auf die jeweilige Rolle abgestimmte Funktionalitäten an, z.B. visuelle Unterstützung aus der Ferne durch Experten bei Störungen von Maschinen- und Anlagen, die nicht mit Hilfe von Self-Services behoben werden können. Eine rechtzeitige Unterstützung kann helfen, durch längere Maschinen-Ausfallzeiten entstehende Kosten zu vermeiden. Mit der Implementierung von Smart Service Lösungen können Hersteller von Maschinen, Anlagen und Produkten nicht nur die installierte Basis gezielt mit digitalen Services versorgen, sondern auch neue Umsatzpotenziale durch die Monetarisierung solcher Services schaffen. Bestehende Geschäftsmodelle lassen sich mit digitalen Dienstleistungen erweitern oder gänzlich neue Geschäftsmodelle wie Equipment-as-a-Service oder Pay-per-X können etabliert werden.
Abbildung: AR Video Support Anwendungen helfen, hohe Kosten zu vermeiden, die durch längere Maschinenausfallzeiten entstehen
Die Nutzer von Smart Service Plattformen können im Sinne des Metaverse eine aktive Rolle übernehmen und mit ihrem Feedback zu den vorhandenen Inhalten beitragen und z.B. neue Workflows, Service-Tickets und Störungsmeldungen erstellen oder Verbesserungsvorschläge für die Bedienung und Wartung von Maschinen machen. Die Zusammenarbeit mehrerer Nutzer an bestimmten Wartungsfällen oder Workflows kann helfen, wiederholt auftretende Störungen zu vermeiden, Fachwissen aus verschiedenen Perspektiven zu sammeln und unterschiedliche Anspruchsgruppen in einem Portal zu verbinden.
Ein wichtiges Merkmal des Industrial Metaverse ist die Interoperabilität verschiedener Teilsysteme zur Schaffung einer integrierten Umgebung. In Smart Service Plattformen ist dies durch API basierte Integrationen möglich, die eine nahtlose Verbindung mit vorhandenen IT-Systemen und verschiedenen anderen Metaverse Systemen gewährleistet und einen kontinuierlichen Datenaustausch ermöglicht. Neuen Daten müssen dann nur in einer Anwendung eingetragen werden und werden dann folglich in allen anderen Systemen automatisch synchronisiert. So werden durchgängige und effiziente Prozesse über Systemgrenzen hinweg möglich.
Infobox
oculavis präsentierte seine Smart Service Lösung bei der Eröffnung des Bosch Metaverse Labs in Berlin. Bosch lud Metaverse Player aus verschiedenen Branchen ein, um das Bosch Metaverse Lab offiziell zu eröffnen. Industrial Metaverse Experten von oculavis waren eingeladen, den Teilnehmern der Veranstaltung ein Metaverse-Trainingsszenario auf Basis der oculavis Mixed Reality Applikation im Rahmen eines Hackathons zu präsentieren. Die Besucher konnten eine Smart Service Plattform direkt testen und erfahren, wie sie den Umgang mit komplexen Maschinen und Anlagen vereinfacht. Der geräteunabhängige Ansatz von oculavis macht das Industrial Metaverse mit jedem verfügbaren Endgerät leicht zugängig und man benötigt nicht unbedingt ein Mixed Reality Headset: auch mit gängigen Smartphones und Tablets können Nutzer von Maschinen und Anlagen mit digitalen Self Services und Remote Expert Services interagieren.
Auch wenn das Industrial Metaverse gerade erst im Entstehen ist, hat es erhebliches Potenzial, Produktionsprozesse, Dienstleistungsportfolios und gesamte Geschäftsmodelle zu transformieren. McKinsey z. B. berichtet, dass allein in den ersten fünf Monaten des Jahres 2022 mehr als 120 Milliarden Dollar in Metaverse Start-ups und Scale-ups investiert wurden – mehr als das Doppelte der im gesamten Jahr 2021 investierten 57 Milliarden Dollar. Der Gartner-Hype-Cycle 2022 positioniert das Metaverse in der ersten Phase der Innovationsauslöser , was darauf hindeutet, dass es zu den Technologien gehört, die Wirtschaft und Gesellschaft in der Zukunft maßgeblich beeinflussen werden.
Abbildung: Der Gartner Hype Cycle 2022 stuft das Metaverse als einen Innovationstrend mit großem Potenzial ein
Das legt nahe, dass jetzt der richtige Zeitpunkt für Unternehmen ist, das Potenzial des Industrial Metaverse zu bewerten und sich darüber Gedanken zu machen, wie darauf basierende Ansätze in bestehende Service- und Geschäftsmodelle integriert werden können.
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